2022-07-01

ReWOHNlution – Bezahlbar und selbstbestimmt Wohnen!



Die Mieten steigen. Und steigen. Und steigen. Zunehmend auch in Thüringer
 Städten. Damit einher geht die Gentrifizierung der Innenstädte und
 schlussendlich die räumliche Trennung sozialer Schichten, da am Ende kein
 bezahlbarer Wohnraum mehr in Zentrumsnähe zu finden ist. Wer sich das leisten 
 kann, hat die freie Wahl, wer auf sozialen Wohnraum angewiesen ist – auf den um
 die 60% der Thüringer*innen Anspruch haben – bleibt wortwörtlich außen vor.
 Gleichzeitig stehen Kleinstädte und Dörfer vor der Herausforderung, mit
 Schrumpfung und Leerstand umgehen zu müssen. Teilweise stehen ganze Straßenzüge
 leer, während auf der grünen Wiese neue Einfamilienhäuser entstehen. Auch hier
 spekulieren Eigentümer*innen von Immobilien, die oft von weit her kommen und
 lassen Häuser verfallen.

Ist dieser Mechanismus einmal in Gang gesetzt, werden innerstädtische Immobilien
 zum Spekulationsobjekt: Leerstehend und unbeachtet in der Hoffnung auf
 gewinnbringenden Weiterverkauf. Der Standort in Zentrumsnähe ist attraktiv und
 von Wohnungssuchenden begehrt, der Wert der Immobilien Aufgrund der Nachfrage
 also enorm hoch. Doch der Betrieb eines Mietshauses ist zeit-, ressourcen- und
 nicht zuletzt kostenintensiv, weshalb viele Anleger*innen sich gar nicht erst
 die Mühe machen. Setzt sich das über eine zu lange Zeit fort, verfallen die
 Objekte und ein Neubau ist wirtschaftlicher als eine Restaurierung, womit auch
 immer ein Stück Stadtgeschichte verloren geht.

Innenstädte sollen jedoch vor allem Begegnungsstätten sein. Wenn nun finanziell
 prekär aufgestellte Personen und Familien mietkostenbedingt in großen Blocks am
 Stadtrand leben müssen, können sie nicht mehr am kulturellen und sozialen
 Austausch im Zentrum teilhaben, sie werden zunehmend isoliert. Das kann auf
 Dauer nicht funktionieren.

Spekulation? Nein Danke!

Wie können wir nun die Löcher in unseren Innenstädten stopfen? Wie lange wollen
 wir warten, bis sich ein*e Investor*in entschieden hat, eine Immobilie zu
 entwickeln? Deutschlandweit gibt es Initiativen, die sich aus genau solchen
 Situationen entwickeln und sich selbst in den unmittelbaren Prozess einbringen.
 Sie sichten Objekte, die von Investor*innen verwahrlost zurückgelassen oder
 endlich von der Kommune zum Verkauf ausgeschrieben wurden und entwickeln ein
 Konzept, wie es sich zu günstigem, von profitgeleiteten Eigentümer*innen
 unabhängigem Wohnraum entwickeln lässt. Dies geschieht meist in Form von
 sogenannten Wohn- oder Quartiersprojekten.

Diese Projekte sind in ihren Zielen, Formen und Umsetzungen höchst
 unterschiedlich, eignen sich jedoch strukturell ideal für die sinnvolle und
 lebensnahe Ausgestaltung von neuem Wohnraum in Innenstädten. So können sie
 Nachbarschaften einbeziehen und teilhaben lassen, müssen nicht gewinnbringend
 wirtschaften und können durch Berücksichtigung der Historie eines Ortes diese
 erhalten. Je nach Bedarf kann die Gemeinschaftsstruktur eng oder locker,
 kommunenähnlich oder individuell gestaltet werden.

Viele Wohnprojekte setzenauf eine generationenübergreifende, inklusive und
 integrative Demographie und entsprechenden Austausch. Die gemeinschaftliche
 Identität wird nicht nur durch eine eventuell gegebene Historie des Standorts,
 sondern auch häufig durch gemeinschaftliche Aktionen, das Angebot von
 Werkstätten und Arbeitsgruppen gestärkt.

Bewohner*innen können sich meist aktiv mit ihren individuellen Fähigkeiten im
 Projekt einbringen und so zur Instandhaltung des Objekts, der Selbstorganisation
 der Gemeinschaft oder der Versorgung hilfsbedürftiger Mitglieder beitragen. Das
 fördert nicht nur ihre Selbstverwirklichung und -wirksamkeit, sondern trägt auch
 zur strukturellen Unabhängigkeit und finanziellen Kostensenkung bei, was
 wiederum weiter die Mietkosten senkt. In diesem Sinne sind Wohn- und
 Quartiersprojekte auch häufig in vielerlei Hinsicht nachhaltig. Sie restaurieren
 in vielen Fällen ohnehin leerstehende Immobilien, wirtschaften kostendeckend,
 lediglich mit der Instandhaltung und Entwicklung der eigenen Immobilie im
 Bewusstsein, vernetzen unterschiedlichste Menschen und Gruppen und fördern damit
 den sozialen Austausch. Mit entsprechender Förderung könnten auch Baumaterialen
 und Heizsysteme nachhaltig umgesetzt werden.

Knete in die Hand nehmen – Nachbarschaften neu Formen!

Die größte Hürde für Wohn- und Quartiersprojekte, sowie ähnliche Unternehmungen,
 ist meistens der Anfang. Es müssen Menschen, die Interesse an Teilhabe
 haben,sowie finanziellen Mittel gefunden, Visionen entwickelt und Pläne
 entworfen werden. Und all das bei Konkurrenz durch finanziell fluide, im
 Immobilienmarkt etablierte und bestens strukturierte Unternehmen.

Während im Bund (bspw Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) schon
 seit vielen Jahren bekannt ist, dass die Förderung gemeinschaftlicher
 Wohnprojekte wichtig für Kommunale Entwicklung ist und viele Bundesländer
 entsprechende Unternehmungen unterstützen, ist davon in Thüringen noch nichts zu
 spüren. Das muss sich ändern!

Wir fordern, dass aus der Bevölkerung entstehende, sozial ausgerichtete und für
 die zunehmend gentrifizierten oder leerstehenden Thüringer Innenstädte
 hochrelevante Initiativen wie gemeinschaftliche Wohn- und Quartiersprojekte
 gefördert werden:

1. Relevanz anerkennen – Thüringen muss die Bedeutung von
 bürger*innenschaftlichen Wohnrauminitiativen wie gemeinschaftliche Wohn- und
 Quartiersprojekte anerkennen und in das politische Schaffen aufnehmen!

2. Relevanz propagieren – Stadt- und Raumentwicklung ist Aufgabenbereich der
 Kommunen. Das Land muss sich dafür einsetzen, dass diese bei
 Objektausschreibungen entsprechende Projekte zielgerichtet ins Auge fassen und
 nicht gegen profitinteressierte Unternehmen ausspielen! Dafür wollen wir auch
 vor Ort in den Kommunen kämpfen. Statt dem Bestbietenden sollen in Zukunft jene
 mit dem besten Konzept Immobilien bekommen!

3. Handreichungen bieten – Es braucht für gründungsinteressierte Gruppen
 Leitfäden und informative Unterstützung, wie eine Realisierung in Thüringen am
 besten möglich ist!

4. Finanzielle Hürden abbauen – Die Gründer*innen und Beteiligten dürfen nicht
 auf den enormen Kosten von Restaurierung, Instandsetzung und Instandhaltung
 sitzen bleiben. Für den Ankauf von Grundstücken braucht es neue Modelle und eine staatliche Bezuschussung, hier muss das Land aktiv werden. Insbesondere Initiativen mit Fokus auf sozialen Wohnungsbau müssen nachhaltig finanziell unterstützt werden!

5. Förderung anpassen – Die Wohnprojekte dürfen bei der Wohnraumförderung nicht aus dem Raster fallen. Ob bei der Bundesförderung oder der Thüringer ISSP-Richtlinie, es braucht eine Förderung die auch objektbezogen funktioniert. Insbesondere das Land Thüringen muss sich mehr bemühen und zeitnah Förderungsrichtlinien anpassen und ausreichend ausfinanzieren!



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