Schulpolitik und Kinderarmut
In vielen ostdeutschen Städten sind die Randbezirke stark von Segregation
betroffen. Gerade in Erfurt erlebt man beispielsweise in der Gemeinschaftsschule
10 Otto Lilienthal viele Kinder und Jugendliche, welche extrem von Armut und
sozialen Problemlagen betroffen sind.
Wir stellen kurz die aktuelle Situation der GEM 10 dar:
Die GEM 10 befindet sich in einem Schulhaus mit der GEM 8 Otto Lilienthal. Die
andere Schule wächst seit Gründung der Gemeinschaftschule aus einer Grundschule
stetig an, wodurch die Räume für die GEM 10 wegfallen oder sie oft umziehen
müssen. Deswegen sind bereits die 5. und 6. Klassen am Berliner Platz
untergebracht worden, der 1,3 km vom Hauptschulstandort entfernt liegt. Die
Lehrer*innen müssen stetig pendeln und die Kinder dürfen während der Schulzeit
nicht ohne Erlaubnis und Begleitung zum Hauptstandort gehen. Seit Februar dieses
Jahres gibt es drei Schulstandorte: die Standorte in der Mittelhäuser Straße und
am Berliner Platz sowie die Container in der Mittelhäuser Straße. Die
Bewilligung der Containernutzung durch das Schulamt verzögerte sich, was zu
vielen Problemen führte. Es gelang nicht, den Umzug der Klassen 5-6 vom Berliner
Platz zurück zu den Containern zu bewerkstelligen, was dazu führt, dass das
durch die weiten Entfernungen bedingte ungesunde Schulklima weiterhin bestehen
bleibt. Das Schulamt möchte, dass die Gemeinschaftsschule aus der alten
Gemeinschaftsschule 27 mit den ehemaligen „Regelschule 5-Klassen“ der 5./6.
Jahrgangsstufe zusammenwächst. Hierfür steht der Umzug in die
Grubenstraße/Magdeburger Allee an, der sich jedoch bereits im zweiten Jahr
verzögert. Die Gemeinschaftsschule Gispersleben befindet sich noch immer dort.
Auch die Kommunikation hat sich im letzten Schuljahr immens verschlechtert. Die
Container sind nicht mit dem Schulfunk verbunden und die Eingewöhnung dort
erfolgte laut der Schulsozialarbeit extrem übereilt. Es gibt Personalmangel,
wodurch die Aufsicht an den verschiedenen Standorten (Berliner Platz,
Mittelhäuser Straße, Container) nur schwer abzudecken ist. Zusätzlich hat das
Schulsozialarbeit noch immer nur ein Büro in der Mittelhäuser Straße und die
Pendelsituation zum Berliner Platz bleibt für die Klassen fünf und sechs
bestehen, was die Arbeit erheblich erschwert. Am Berliner Platz soll das
Schulleitungsbüro ab Mai angesiedelt sein, was zur Folge hat, dass es an der
Mittelhäuser Straßekein Schulleitungsbüro und kein Lehrer*innenzimmer mehr geben
wird. Es gibt lediglich ein „Ersatzlehrer*innenzimmer“, in dem die Schulleitung
sich je nach Anlass aufhält. Es gibt nur noch eine Sachbearbeiterin am Standort
Mittelhäuser Straße, wodurch absehbar ist, dass es zu mehr Gewaltvorkommnissen
kommen wird, da keine Person vor Ort ist, die maßgebliche Sanktionierungen
verhängen kann. Seit einigen Jahren sind die Bildungschancen an dieser Schule
sichtlich gesunken. Es erreichen mittlerweile über 50 % der Jugendlichen den
Hauptschulabschluss NICHT mehr. Als Grund wird die eben genannte kritische
Situation von der Schulsozialarbeit angegeben. Aufgrund dieser Situation fordern
wir von den Vertreter*innen der Stadt Erfurt als Schulträger, vom Schulamt und/
oder dem Bildungsministerium, dass sie mit den betroffenen Personen, der
Schulleitung, der Schulsozialarbeit und den Lehrkräften der GEM 10 geeignete
Lösungen entwickeln, um die Situation schnellstmöglichst zu verbessern und die
Bildungschancen der Schüler*innen nachhaltig zu steigern. Die hier vorgestellte
Schule zeigt exemplarisch zahlreiche Problemlagen auf und ist damit eine der
vielen Thüringer Schulen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.
Allgemein ist es bekannt, dass jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut
bedroht ist oder sich in einer Armutssituation befindet. Es ist ein untragbarer
Zustand, dass sogenannte „Brennpunktschulen“ von der Politik weniger
berücksichtigt werden als Schulen, die weniger von Benachteiligung und Armut
geprägt sind. Gerade Bildung sollte jedem Menschen gleichermaßen zur Verfügung
stehen, was in der Praxis nicht ermöglicht wird. Wir fordern von der Thüringer
Politik für Kinder und Jugendliche an allen vergleichbaren Schulen einen
Nachteilsausgleich in Form von Ganztagsangeboten wie beispielsweise kostenlose
Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe, Unterstützung der Lehrkräfte durch
„Teamteacher“ und Schulsozialarbeit sowie ggf. eine Anpassung der
Bewertungsmaßstäbe zugunsten der benachteiligten Schüler*innen. Langfristig
müssen wir aber auch das Bildungssystem allgemein reformieren, um mehr
Bildungsgerechtigkeit herzustellen: Schule soll ein Ort des nachhaltigen Lernens
und der individuellen Entfaltung und nicht der Leistung sein. Es sind vor allem
der Leistungsdruck, zeitaufwändige Hausaufgaben und Noten, die zu
Bildungsungerechtigkeit und enormen Stress bei Schüler*innen führen. Als Grüne
Jugend kämpfen wir für das Abschaffen aller Schulnoten, Hausaufgaben und dem
sogenannten „Sitzenbleiben“. Statt Leistungsfähigkeit, Anpassung und Selektion
sollen die Schüler*innen selbst, deren Unterstützung und persönliche Entfaltung
im Mittelpunkt von junggrüner Schulpolitik stehen. Dafür muss das
Bewertungssystem von 1-6 abgeschafft und stattdessen Konzepte der individuellen
Förderung, wie z.B. Lernportfolio, umgesetzt werden. Unser langfristiges Ziel
ist eine inklusive Schule für alle bis zur zehnten Jahrgangsstufe und somit die
Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems. Schlüssel für eine erfolgreiche
Bildung ist für uns zudem eine fähigkeitenorientierte Bildung mit größerem
Praxisbezug
Es ist wichtig, dass die zuständigen Personen aus Politik und Verwaltung
(Vertreter*innen der Schulträger, Schulamt und/ oder
Bildungsministerium) häufiger solche Schulen (wo offensichtlich Bildung nicht
ausreichend erfolgreich ist und sich soziale Problemlagen häufen) aufsuchen und
sich ein genaues Bild machen. Dort soll direkt erfragt und analysiert werden,
was die Schüler*innen und alle Arbeitskräfte brauchen. Diese Bedarfe müssen so
schnell wie möglich durch geeignete Maßnahmen gedeckt werden. Weiterhin muss die
Kommunikation von den Vertreter*innen der Schulträger, vom
Schulamt und/ oder dem Bildungsministerium mit solchen Schulen verbessert
werden. Den Missstand machen wir daran fest, dass die eben genannte Schule in
den letzten Jahren immer vertröstet wurde und nie genau für sie dargelegt wurde,
was das Problem ist und wie die Situation aussieht. Deswegen fordern wir eine
klare und transparente Kommunikation und einen regelmäßigen Austausch und
Diskurs mit allen Thüringer Schulen. Dabei gilt es, die Beteiligung von
Schüler*innen an solchen bedeutenden Entscheidungen zu stärken und sie in
entsprechende Prozesse fest mit einzubinden.
Zudem
sollen Maßnahmen ergriffen werden, um gerade im Bildungssektor gegen Armut (dazu
gehört ebenfalls der Mangel an sozialer Teilhabe und geringere Bildungschancen)
vorzugehen. Wir fordern eine finanzielle Unterstützung der Kinder- und
Jugendhilfe (diese wird in allen Bereichen wo Kinder und Jugendliche betreut
oder begleitet werden tätig, z.B. in der Schulsozialarbeit, in Kitas etc.) für
die Umsetzung von Maßnahmen gegen Kinderarmut. Zudem fordern wir, dass es an
allen Thüringer Schulen für alle Schüler*innen eine gesunde Mahlzeit am Tag
gibt. Diese Maßnahme ist eine einfach umsetzbare Möglichkeit, die nicht nur
einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit, sondern auch für die Gesundheit von Kindern
und Jugendlichen leistet. Vor allem wollen wir, dass die Politik das Problem der
Kinderarmut ernst nimmt und sinnvolle Lösungen entwickelt, um Kinder und
Jugendliche zu unterstützen.
Dazu gehört auch, Präventionskonzepte
flächendeckend anzuwenden wie beispielsweise einerealitätsnahe Drogen- und
Gewaltprävention auf Augenhöhe, die nicht von Polizei sondern z.B.
Sozialarbeiter*innen durchgeführt wird und nicht nur Folgen, sondern auch
Ursachen von Drogenkonsum und Gewalt thematisiert und Aufklärung statt
Abschreckung in den Fokus nimmt. Jede*r Schüler*in sollte zudem genau wissen, an
wen er*sie sich bei Problemen vertrauensvoll wenden kann. Es braucht einen
schnellen, flächendeckenden Ausbau von psychosozialen Beratungsangeboten für
Schüler*innen.
Zudem fordern wir, dass es auch bei der Gründung einer
Gemeinschaftsschule (aus einer Regelschule) die Möglichkeit gibt, Paxisklassen
weiterzuführen, in denen Kinder besonders gefördert werden können.
Dementsprechend fordern wir dahingehend eine Änderung des Thüringer
Schulgesetzes (Aufnahme von Abs. 5 des § 6 Regelschule 6 in § 6 a
Gemeinschaftsschule). Kinderarmut ist nachweislich ein gesamtgesellschaftliches
Problem und sollte auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene Priorität haben!
Bildung kann hier einen wichtiger Teil sein. Allerdings braucht es nicht nur
Maßnahmen die Armut in der Zukunft, sondern auch in der Gegenwart verhindern.
Deswegen fordern wir ausdrücklich vom Bundesfinanzminister, dass er endlich das
Geld für die Kindergrundsicherung freigibt, denn Kinder sind unsere Zukunft!
Zusammengefasst sind folgend unsere Forderungen:
– Geeignete Lösungsentwicklung von Vertreter*innen der Stadt Erfurt als
Schulträger, vom Schulamt und/ oder dem Bildungsministerium gemeinsam mit
betroffenen Personen, der Schulleitung, der Schulsozialarbeit und den
Lehrkräften der GEM 10, um die Situation schnellstmöglichst zu verbessern und
die Bildungschancen der Schüler*innen nachhaltig zu steigern
– Nachteilsausgleich an allen vergleichbaren Schulen in Form von
Ganztagsangeboten und Anpassung der Bewertungsmaßstäbe zugunsten benachteiligter
Schüler*innen
– ein Ende des Leistungsgedankens in der Schule: Noten und Hausaufgaben endlich
abschaffen und stattdessen das Individum in den Mittelpunkt stellen!
– Direkte Bedarfserfassung und schnelle Bedarfsdeckung durch Politik und
Verwaltung an Schulen mit Bildungsproblemen und sozialen Problemlagen
– Verbesserte Kommunikation und regelmäßiger Austausch zwischen Politik und
Schulen, transparente Kommunikation von Bauvorhaben und Sanierungsmaßnahmen
– Beteiligung von Schüler*innen an allen Entscheidungen, die die Schule
betreffen
–
finanzielle Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe für Maßnahmen gegen
Kinderarmut
– Eine gesunde Mahlzeit am Tag für alle Schüler*innen an Thüringer Schulen
– realitätsnahe, progressive Präventionskonzepte flächendeckend anwenden, z.B.
Drogenprävention und
Gewaltprävention
– Möglichkeit der Fortführung von Paxisklassen in Gemeinschaftsschulen zur
gezielten Förderung von Kindern durch Änderung des Thüringer Schulgesetzes
– Priorisierung des gesamtgesellschaftlichen Problems der Kinderarmut auf
kommunaler, Landes- und Bundesebene
– Umsetzung der Kindergrundsicherung durch den Bundesfinanzminister zum Abbau
von Kinderarmut
-Bekämpfung sozialer Segregation und bezahlbares Wohnen für alle Menschen
– Weiterführungsmöglichkeit von Praxisklassen in einer Gemeinschaftschule
(Aufnahme von Abs. 5 des § 6 Regelschule in § 6 a Gemeinschaftsschule
ThürSchulG)
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