Das System macht uns krank!
-In dieser Form beschlossen auf der 1. Landesmitgliederversammlung 2022 in Weimar-
„Pflegepersonal am Limit“, „Intensivstationen überfüllt“ oder „Krankenhaus XY
vor der Schließung“ sind Schlagzeilen, die uns allen spätestens seit Beginn der
Covid-Pandemie immer wieder begegnen. Pflegekräfte berichten eindrücklich von
ihrem Berufsalltag, vom Personalmangel, von fehlender Wertschätzung, von
Belästigung am Arbeitsplatz. In Thüringen fehlen Pflegekräfte und Ärzt*innen,
besonders auf dem Land. Wenn eine Stelle ausgeschrieben wird, kommen meist
entweder keine oder die Bewerbung von Personen, die dann in anderen
Einrichtungen fehlen. Gleichzeitig müssen Patient*innen lange auf Behandlungen
warten, finden keinen Therapieplatz oder können sich den Platz im Pflegeheim
nicht leisten. Dass es ein Zwei-Klassen-Gesundheitssystem gibt, merken wir alle,
spätestens wenn wir stundenlang im Wartezimmer sitzen und dann schnell behandelt
und weitergeschickt werden. Auch hier ist die Lage in den ländlichen Räumen
Thüringens besonders prekär: Die Wege zum*zur Ärzt*in sind weiter, das
Krankenhaus weit entfernt und der demographische Wandel sorgt in der Zukunft für
eine besonders hohe Nachfrage nach Pflegeeinrichtungen.
Das Gesundheitssystem ist vor allem eines: zurzeit ziemlich beschissen für alle
– außer den Konzernen dahinter. Denn die erwirtschaften mit unserer Gesundheit
oder unserer Krankheit Profit und das nicht unerheblich. Auch kreiseigene
Krankenhäuser müssen schwarze Zahlen schreiben, damit sie „wirtschaftlich“ zu
betreiben sind. Statt weiter Symptome zu bekämpfen, sollten wir uns also endlich
an das System trauen: Unsere Gesundheit ist keine Ware!
Keine Profite mit unserer Gesundheit!
Die Landschaft der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland gestaltet sich
seit Jahren zunehmend profitorientiert – nicht zuletzt auf Grund der
Fallpauschale. Die Vergütung der Leistungserbringenden (Krankenhäuser) an die
tatsächlich erbrachten Leistungen zu koppeln, führt zu einem
marktwirtschaftlichen Eingriff in die medizinische Versorgung der Menschen.
Behandelnde Kliniken sind angehalten, möglichst wenige Maßnahmen durchzuführen,
um eine Behandlung der Patien*innen wirtschaftlich zu gestalten. Wir fordern die
Entkopplung von Vergütung der Leistungserbringenden und den erbrachten
Leistungen! Medizinische Entscheidungen dürfen keinen Einfluss auf die
Einkommenshöhe der behandelnden Institution/ Praxis haben.
Zusehends bilden sich kapitalistische Konkurrenzen zwischen Kliniken und anderen
Versorgungseinrichtungen heraus, in denen Patient*innen nicht mehr als Menschen,
sondern als Kund*innen und ihre Gesundheit als Ware angesehen werden. Daraus
ergeben sich in Kombination mit dem System der Zwei-Klassen-Versicherungen hohe
Investitionen in Privatstationen zu Lasten der allgemeinen
Gesundheitsversorgung und des Personals. Diese Einsparungen sind nicht nur in
der Pflege schmerzhaft spürbar. Auch Reinigungskräfte, Mitarbeitende in den
Kantinen und im Patient*innentransport leiden seit Jahren unter dem Profitwahn
der Krankenhäuser. Am Ende leidet darunter auch die fachgerechte Versorgung der
Patient*innen.
Dieser Umgang ist nicht nur zutiefst unsolidarisch sondern im Bereich
des Gesundheitswesens gesundheitsschädlich und gefährlich.
Wir fordern deshalb die Abschaffung dieses Systems!
Die jetzige unsolidarische Versicherungsstruktur muss durch eine solidarische
Bürger*innenversicherung ersetzt werden. Hierbei zahlen alle Menschen einen
anteiligen Beitrag in eine gesetzliche Versicherung. Darauf gründet sich der
gleiche Anspruch aller auf eine medizinische Versorgung ohne Bevorzugung
einzelner Personengruppen.
Die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssektors verstärkt diese Problematik
zusehends. Private Krankenhausträger buhlen nicht mehr nur um besonders
„zahlungskräftige“ Patient*innen, sondern auch zunehmend um Personal. Aufgrund
der desaströsen Ausbildungssituation besonders in der Pflege führt dies zu einem
eklatanten Personalmangel und zu einem Versorgungszusammenbruch in anderen,
häufig ländlicheren, Versorgungszentren. Kliniken in privater Trägerschaft sind
hierbei häufig noch profitorientierter als öffentliche Krankenhäuser. Dabei sollte die Dualfinanzierung der kommunalen Träger gesichert werden. Die geschilderten negativen Auswirkungen auf Patient*innen und Personal nehmen hier
besonders gravierende Ausmaße an. Neben den privaten Trägern stellen sich auch die in kirchlicher Hand geführten Leistungserbringenden als Problem dar. Fachkräfte können durch eine abweichende Konfession gekündigt oder gar nicht erst angestellt werden, ebenso können notwendige Behandlungen bei Patient*innen, welcher der Religion wiedersprechen abgelehnt werden. Ein solches diskriminierendes Verhalten lehnen wir ab.
Wir fordern deshalb, sämtliche Infrastruktur der Gesundheitsversorgung wieder in
öffentliche Hand zu übergeben. Gesundheitsversorgung ist staatliche Aufgabe! Eine erreichbare, umfangreiche und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung ist Kern staatlicher Verantwortung. Diese muss Diese muss auch in ländlichen Gegenden sichergestellt werden. Weiterhin fordern wir ein absolutes Gewinnverbot
für Krankenhäuser. Keine Profite mit unserer Gesundheit!
Applaus reicht nicht!
Bereits seit Jahrzehnten besteht in der Pflege Personalmangel. Politisch wurden
diese Probleme nie ausreichend angegangen. Daraus resultieren die heutigen
Misstände, die in der Corona Pandemie so klar wurden wie nie zuvor: Die
Profitlogik im Gesundheitswesen hindert Menschen in Gesundheitsberufen daran,
adäquate Versorgung zu leisten. Pflegeberufe werden – auch im Schatten der
Corona-Pandemie – immer unattraktiver, sodass es zu wenig Nachwuchs gibt,
während in den nächsten 10-15 Jahren viele in Rente gehen werden. Es bleibt also
wenig Zeit, echte Veränderungen voranzutreiben. Der von der Bundesregierung
beschlossene Pflegebonus ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Es braucht
endlich langfristige Lösungen!
Wir fordern deshalb eine gesetzliche Personalmessung: Auf Grundlage von
pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen unter Beachtung des demographischen
Wandels soll ein Bemessungsinstrument eingeführt werden, dass eine verbindliche
Anzahl an Pflegenden in allen Bereichen, sowohl stationär als auch ambulant,
festlegt. Auszubildende dürfen auf den Stellenplan nicht angerechnet werden,
weil sie vor allem lernen sollen und nicht dazu da sind, um Personaldefizite
abzudecken.
Wir kämpfen für höhere Löhne und flächendeckende Tarifbindung, dafür stehen wir
solidarisch an der Seite von Gewerkschaften. Perspektivisch brauchen wir eine
30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, die 35-Stunden-Woche kann auf dem Weg
dorthin ein Zwischenschritt sein.
Gute Pflege beginnt mit der Ausbildung. Alle Auszubildenden sollen kostenlosen
Zugang zu allen Lehrmaterialien und Fachliteratur erhalten. Weiterhin fordern
wir eine ausreichende räumliche, technische und personelle Ausstattung der
Ausbildungsstätten. 25% der praktischen Ausbildungszeit muss pro praktischem
Einsatz mit einer Praxisanleitung erfolgen. Praxisanleitende müssen für ihre
Tätigkeit vollumfängliche freigestellt und ausreichend vergütet werden. Damit
die Ausbildung in der Pflege überall in Deutschland von guter Qualität ist, braucht es eine gesetzlich festgelegte Investitionsquote der Träger in die praktische
Ausbildung. Zudem müssen wir die Vergütung im primärqualifizierenden
Pflegestudiengang wieder einführen, damit dieser nicht exklusiv wird!
Die Politik darf nicht willkürlich über Menschen in Pflegeberufen entscheiden.
Außerdem braucht die Pflege eine starke Stimme in der Selbstverwaltung des
Gesundheitssystems. Dass die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen nicht
gehört wird, ist fahrlässig. Daher muss die Pflege, genau wie alle anderen
Gesundheitsberufe und Patient*innenvertreter*innen, ein Stimmrecht im
gemeinsamen Bundesausschuss erhalten. Auch auf allen anderen Ebenen der
Entscheidungsfindung muss die Pflege vertreten sein. Daher fordern wir eine
verpflichtende Einbindung der pflegerischen Fachexpertise in Krisenstäbe.
Auch braucht es belastbare Zahlen über die realen Arbeits- und
Ausbildungsbedingungen in Pflegeberufen in Thüringen. Diese sind zurzeit nur
rudimentär vorhanden oder nicht öffentlich zugänglich. Für zielgerichtete
Maßnahmen ist dieses Grundlagenwissen aber von großer Bedeutung.
Hebammenbetreuung für Alle- der Hebammenmangel bedeutet eine massive Einschränkung der Wahlfreiheit des Geburtsortes und des Betreuungsangebotes (SGB V) von Schwangeren & Gebärenden. Kreißsaalschließungen, Unterversorgung in ländlichen Regionen und schlechte Arbeitsbedingungen lassen viele aus der originären Hebammenarbeit fliehen und Gebärende allein zurück. Wir fordern bessere Bezahlung & würdige Arbeitsbedingungen für klinisch tätige Hebammen und eine Überarbeitung der Hebammenvergütungsvereinbarung mit dem GKV. Damit jede Gebärende eine adäquate medizinische Begleitung erfährt und Hebammen von ihrer Arbeit leben können.
Gesundheitsversorgung für alle!
Jeder Mensch hat das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitszustand – heißt es
in der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation. Eine solidarische
Gesundheitspolitik muss die Belange von BIPoCs, FLINTA* und (finanziell)
marginalisierten Menschen berücksichtigen sowie Diskriminierungen
entgegentreten!
Rassismus ist nicht nur im deutschen Alltag, sondern auch im Gesundheitswesen
allgegenwärtig. Er fängt bei Diagnosen in Lehrbüchern an, die sich nur auf weiße
Haut beziehen, geht über Diskriminierungspraktiken in allen Arbeitsbereichen,
bis hin zu großen Zugangsbarrieren bei der Anerkennung von ausländischen
Abschlüssen.
Suchen migrantisierte oder rassifizierte Menschen beispielsweise einen
psychosozialen Beratungskontext auf, erfahren sie häufig, dass ihre Probleme von
den weißen* Professionellen nicht auf Diskriminierung zurückgeführt, sondern
kulturalisiert, also durch rassistisch generalisierende Ansätze erklärt werden.
Diese Art Erklärungen finden sich häufig auch in der medizinischen Diagnose von
Krankheiten. Rassifizierte Patient*innen berichten oft von Misstrauen oder
nicht-ernst-Nehmen seitens des Fachpersonals, was zu Fehldiagnosen und falschen
Therapien führen kann. Die Darstellung von weißer Haut in Lehrbüchern führt
beispielsweise zu Verkennungen oder genannten Fehldiagnosen. Wir fordern daher,
dass in allen psychologischen und medizinischen Ausbildungen
Rassismussensibilisierung und Bewusstsein für Formen der Marginalisierung und
Diskriminierung einen festen Platz finden.
Stigmatisierung und Pathologisierung, also unbegründetes „Krank“-Schreiben,
begegnet auch heute noch viel zu häufig queeren Menschen in Deutschland. Sei es,
dass sie negative Reaktionen befürchten müssen, wenn sie ihre geschlechtliche
Identität, ihre sexuelle Orientierung, ihre Lebensweise oder sexuelle Praxis
ansprechen oder ihnen Anerkennung und entsprechende medizinische oder
psychologische Behandlung verwehrt wird. All dies beeinträchtigt die nötige
gesundheitliche Versorgung. Deshalb fordern wir, angelehnt an den Lesben- und
Schwulenverband (LSVD), die Psychiatrie und Medizin sowie alle im
Gesundheitswesen tätigen Menschen, Organisationen und Institutionen auf, queere
Menschen vorurteilsfrei gegenüberzutreten. Die Ärzt*innenschaft wird
aufgefordert, ihre Beratungskompetenz für queere Patient*innen durch
Fortbildungen zu verbessern. In der Aus- und Fortbildung im Gesundheitswesen
sind generell Themenbereiche wie gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Trans- und
Intergeschlechtlichkeit sowie die Auswirkungen von Homo- und
Transfeindlichkeit stärker zu berücksichtigen.
Sowohl in der Diagnostik von Krankheiten, der Forschung und der Entwicklung von Medikamenten ist der cis-männliche Körper nach wie vor die Norm. Das führt beispielsweise dazu, dass cis Männer zwei Drittel aller tödlichen Herzinfarkte erleiden, aber die Wahrscheinlichkeit bei cis Frauen, daran zu sterben, in der Altersgruppe unter 50 Jahren mehr als doppelt so hoch ist wie für einen cis Mann. Medikamente werden immer noch Großteils an cis männlichen Probanden getestet. Dies ist u.a. deshalb problematisch, weil der weibliche Zyklus eine andere oder gar eine schädliche Wirkung des Medikaments hervorrufen kann. Wir fordern die Schaffung eines Lehrstuhls für gender- und vielfaltssensible Gesundheit in Thüringen.
Wir fordern die Erstellung eines gruppenspezifischen Berichts zur
gesundheitlichen Lage queerer, migrantisierter, rassifizierter und anderer
marginalisierter Menschen in Deutschland durch das Bundesgesundheitsministerium,
um aus den Erkenntnissen konkrete Handlungsempfehlungen für zielgruppensensible
Gesundheitsförderung zu gewinnen.
In Deutschland gilt mehr als jeder 6. Mensch als arm. Armut bedeutet immer auch
eine soziokulturelle Verarmung, die eine Teilhabe an der Gesellschaft
unmöglich macht. So verwundert es nicht, dass sich die Auswirkungen von Armut
auch in einer schlechteren Gesundheit, ungesünderen Lebensweise und verkürzter
Lebenserwartung abzeichnen. Wir fordern deshalb ein Gesundheitssystem, das
jedem*jeder zugänglich und nicht an die finanziellen Mittel der einzelnen Person
geknüpft ist. Wir berufen uns dafür auf Artikel 2 des Grundgesetzes, welcher
das „Recht auf körperliche Unversehrtheit“ vorsieht. Wir fordern eine Übernahme
der Kosten für alles medizinisch Notwendige durch Krankenversicherungsleistungen
sowie eine Grundsicherung für bedürftige Personen ohne Krankenversicherung (dies
betrifft zum Beispiel Asylsuchende in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts
oder Menschen auf der Flucht, Wohnungslose). Des Weiteren kritisieren wir den
zu knapp bemessenen Sozialhilfe-/Arbeitslosengeld II-Satz, da dieser keine
gesundheitsfördernde Lebensweise sicherstellen kann.
Antrag in leichter Sprache:
Besonders seit Corona sieht man in den Nachrichten viel über Krankenhäuser. Meistens sind es keine guten Nachrichten. Auch Menschen, die dort arbeiten, erzählen von den schlechten Zuständen. Sie werden nämlich schlecht bezahlt und müssen sehr lang arbeiten. Das bedeutet auch für kranke Menschen nichts Gutes. Sie müssen dann zum Beispiel lange auf ihre Behandlung warten. Besonders schlimm ist es auf dem Land. Dort sind die Wege zu den Krankenhäusern sehr lang. Leider gibt es in Deutschland Menschen, die besser behandelt werden. Sie sind privat versichert. Sie zahlen oft viel Geld. Dafür bekommen sie mehr Leistungen. Es gibt also Unterschiede in der Behandlung. Das finden wir nicht gerecht. Die GRÜNE JUGEND THÜRINGEN fordert die Abschaffung dieser Ungleichheit. Dafür fordern wir, dass alle Einrichtungen für Gesundheit in öffentliche Hand gehen. Das bedeutet, dass ein Krankenhaus nicht einer Person gehören darf. Wir als GRÜNE JUGEND THÜRINGEN möchten auch die Arbeiter*innen im Krankenhaus unterstützen. Es gibt wenige Krankenpfleger*innen. Damit es mehr werden, fordern wir eine bessere Bezahlung. Das bedeutet vor allem mehr Geld für sie. Wir wollen auch junge Menschen unterstützen, die Krankenpfleger*in werden möchten. Oft werden Schwarze Menschen oder andere Minderheiten noch schlechter behandelt. Eine Minderheit ist eine kleine Gruppe von Leuten. Betroffen sind auch Minderheiten wie homosexuelle Menschen. Wir fordern, dass alle Menschen die gleiche Behandlung bekommen. Dafür muss auch die Armut bekämpft werden. Arm ist jemand, der nur sehr wenig Geld zum Leben hat. Alle Menschen haben das Recht darauf, gesund zu sein.
← zurück